Mama 2.0 - In Einklang kommen mit Kind und Kunst
Heute sprechen wir mit der Sängerin und Songwriterin Ute Kneisel, die vor allem unter dem Künstlernamen ILLUTE (bestehend aus ihrem Vornamen Ute und Ihrem Studienfach Illustration) bekannt ist. Anfang Oktober erscheint ihre neue LP "Unter den Gedanken wohnt ein Tier", das den ersten Teil einer musikalisch Trilogie bildet. Im Interview erzählt Ute uns von den Arbeiten am neuen Album während des ersten Lockdowns und wie sich der Alltag einer Künstlerfamilie durch Corona verändert hat.
1. Liebe Ute, stell dich doch am besten als erstes kurz einmal der Kindaling Community vor.
Danke, ich freu mich riesig über Eure Einladung! Ja also, ich bin freischaffende Künstlerin und lebe mit meinem Partner und unserer Tochter (4) in Berlin. Nach meinem Illustrations- und Grafik-Studiums bin ich von Münster hierhergezogen und habe neben meiner selbständigen Arbeit als Grafikerin und Illustratorin nach ein paar Jahren auch angefangen, als Singersongwriterin auf verschiedensten Bühnen aufzutreten. 2008 habe ich den Nachwuchspreis vom Chansonfest Berlin gewonnen, 2010 mein erstes Album veröffentlicht. Die Musik ist in all den Jahren sehr in den Vordergrund gerückt, aber seit einiger Zeit versuche ich Musik und Illustration wieder mehr zu verknüpfen. Ich mag auch einfach interdisziplinäres Arbeiten.
2. Du bist Künstlerin und Mutter, wie gestaltet sich dein Alltag normalerweise?
Also seit ich Mutter bin, sehr, sehr anders als vorher, haha. Früher habe ich meine Zeit sehr spontan gestaltet. Wenn mich etwas inspiriert hat, dann habe ich schon mal alles stehen und liegen gelassen und mich über mehrere Tage dem Flow hingegeben. Zum Beispiel wenn ich ein Lied geschrieben oder arrangiert habe. Zeit und Raum habe ich dabei völlig vergessen. Jetzt gibt es einen klaren Zeitrahmen, den ich mit meinem Partner bespreche, an dem ich arbeiten und kreativ sein kann. Wenn ich mit meinem Kind zusammen bin und mich etwas inspiriert, dann halte ich es schnell mit einer Sprachnachricht, einem Foto fest oder tippe es schnell in meine Ideen-Sammlungs-App. Vor allem inspiriert mich natürlich meine Tochter, haha. Sie ist ein so wundervoll eigensinniges, kreatives Wesen. Ich habe durch sie auch das Zeichnen wieder neu entdeckt. Ja und wenn ich viel Energie und/oder brennende Ideen habe, dann stehe ich auch schon mal ganz früh morgens auf, und nutze die inspirierende Morgenstille, während die anderen noch selig schlummern und manchmal arbeite ich auch nachts.
3. Eltern und ganz besonders Mütter hatten dieses Jahr während des Lockdowns mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, neben der Arbeit mussten die Kinder betreut und zum Teil auch zuhause unterrichtet werden. Wie sah das bei dir aus?
Da mein Partner und ich beide soloselbständig künstlerisch arbeiten, war es eine große Herausforderung für uns. Wir haben versucht uns mit Arbeit und Kinderbetreuung 50/50 abzuwechseln. Normalerweise arbeite ich im Wohnzimmer oder Proberaum. Für diese intensive Zeit, als plötzlich alles geschlossen war, inklusive Kita, Cafés und Spielplätze, habe ich dann extra einen kleinen Schreibtisch in unser halbes Zimmer gebaut, damit ich zum Arbeiten auch mal die Tür hinter mir zu machen konnte.
Und wir haben unser Kind während dieser Corona-Maßnahmen auch in unsere gemeinsame Arbeit integriert. Mein Partner ist Trickfilmkünstler und wir wollten nach meiner Tour im Februar die letzten (Dreh)arbeiten zu einem Musik-Video abschließen. Als dann aber plötzlich die Kita schloss und der Ort, an dem wir drehen wollten, nicht mehr zur Verfügung stand, mussten wir spontan umdisponieren. So fand der Großteil der Dreharbeiten zu Hause statt und das Kind taucht auch ein paar Mal verkleidet im Video "Dieses Kind" auf. Am Ende ist dadurch aber sogar ein Making-Of-Video entstanden, weil es durch diese intensive Zeit mit unserem Kind zu Hause so eine besondere Arbeit geworden ist, die auch thematisch zum Song passte. Denn in dem geht es um das (innere) Kind. Und das wollte ich gern festhalten.
4. Was konntest du aus dieser Zeit mitnehmen?
Die Zeit hat uns viel Kraft gekostet, gleichzeitig hat sie uns auch positiv herausgefordert. Nämlich klarer zu werden, in dem was wir wirklich wollen und brauchen und das angemessen zu kommunizieren und gemeinsam Lösungen zu finden. Ich finde es immer wieder so berührend und inspirierend, wie viele Lösungen sich plötzlich auftun, wenn wir es schaffen unsere eigenen Bedürfnisse und die unserer Kinder gleichermaßen liebevoll zu betrachten. Kleinkinder sind sehr lösungsorientiert, wenn wir uns Zeit nehmen, ihnen zuzuhören und ihnen wirklich offen und emphatisch begegnen.
5. Wie habt ihr die Zeit als Familie verbracht? Gibt es einen Song, den ihr hoch- und runtergehört haben, den du von nun an für immer mit Corona verbinden wirst?
Der Song, den ich leider wohl für immer und ewig mit Corona verbinden werde, ist »Happy Birthday«. Den haben wir am Anfang sehr oft beim Händewaschen gesungen, um die 20 Sekunden-Regel einzuhalten. Oftmals mit Abwandlung (Happy Birthday liebe Seife…), die Melodie hat sich schon ganz schön eingebrannt in den letzten Wochen. Aber an Geburtstagen singe ich sowieso lieber »Heute kann es regnen, stürmen oder schneien…«
Ansonsten haben wir einfach viel mehr Zeit zusammen verbracht, mehr zusammen gebastelt, gespielt, gemalt, gelesen und Filme geschaut. Außerdem haben wir draußen nach Orten Ausschau gehalten, die als Spielplatz genutzt werden konnten. Gar nicht so einfach in der Großstadt.
6. Im Oktober erscheint mit UNTER DEN GEDANKEN WOHNT EIN TIER der erste Teil einer Trilogie. Worum geht es hier?
Auf dieser EP widme ich mich der Welt unter den Gedanken. Da wo unsere Gefühle wohnen und unser innerster Kern liegt. Musik ist für mich ein kraftvolles Mittel, um einen Zugang zu dieser Welt zu finden. Und ich finde sehr wichtig, gerade jetzt, in diesen verwirrten und verwirrenden Zeiten, immer wieder mit seinem inneren Kern in Kontakt zu kommen. Mit seiner inneren Kraft und seinem inneren Kompass.
Die Form der Trilogie entstand sehr spielerisch. Die erste Zeit nach der Geburt, war die Musik erstmal ganz schön weit von mir weggerückt. Aber irgendwann habe ich gemerkt, wie wichtig sie für mich ist. Vielleicht gerade weil ich sie ein Stück weit losgelassen hatte. Und plötzlich entstand da dieser riesige Wunsch in mir ein neues Album aufzunehmen. Ich habe dann alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt und irgendwann gemerkt, ein ganzes Album ist gerade zu viel für mich, da ein Großteil meiner Energie immer noch zu meinem Kind fließt und das ist auch gut so. Und auch weil sich meine Energie und meine Rhythmen komplett geändert haben, seit ich Mutter bin. Und das ist eine Sache, die mich mein Kind gelehrt hat, mein eigenes Tempo und meinen eigenen Rhythmus ernst zu nehmen. Und wie wichtig es ist, sich eigene Strukturen zu schaffen, die diesem Rhythmus gerecht werden. Und so habe ich kurzerhand mein eigenes Label gegründet und das Album in eine Reihe heruntergebrochen. So entspricht der Entstehungsprozess meinem Tempo und wird gleichzeitig in der Form selbst sichtbar. Jede EP stellt eine Station dar, einer Reise zu sich selbst. Das sich Öffnen dem Unbekannten, die Brücke und die neue Welt, die man sich erobert, wenn man einfach losgeht. Für mich ist das ein sehr lebendiges Konzept, in dem sich viele verschiedene Ebenen verknüpfen und sichtbar werden. Und ich liebe es einfach mit Formen zu spielen. Die Entstehung der zweiten und dritten EP liegt noch im Ungewissen. Aber die Lieder sind da und die Titel und Cover sind bereits fertig. Wenn man sie nebeneinander legt, ergeben sie ein großes Bild.
7. Wie liefen die Aufnahmen zum Album ab? Gab es auch hier besondere Situationen aufgrund von Corona?
Ich bin ein Mensch, der im Prozess kreativ ist und spontan Ideen entwickelt. Daher liefen die Aufnahmen über einen längeren Zeitraum, an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Musikern und Musikerinnen. Damit das Ganze nicht ausufert habe ich mir einen Zeitrahmen gesetzt, den ich dann aber letztendlich doch wieder gesprengt habe, weil ich zwischendurch krank wurde. Ich hatte aber auf jeden Fall großes Glück, weil ich zum einen mit einem sehr geduldigen und gut strukturierten Tontechniker zusammengearbeitet habe und weil wir fast alles noch vor dem Lockdown aufgenommen haben. Nur meine Stimme habe ich teilweise nachträglich eingesungen. Das allerdings zu Hause. Mix und Mastering haben wir dann, den modernen Kommunikationsmethoden sei Dank, über Telefon und E-Mail kommuniziert.
8. Hast du noch einen Tipp für alle Eltern, die mit der Ungewissheit der nächsten Monate zu kämpfen haben?
Dieser plötzliche Einschnitt durch Corona zeigt deutlich, dass wir einfach nicht wissen können, was die Zukunft bringt. Und dass wir viel weniger Kontrolle haben, als wir denken. Das ist erstmal eine beängstigende Erfahrung. Aber ich finde, sie kann uns unseren Kindern so viel näher bringen. Denn Kinder leben uns vor, was es bedeutet im Moment zu sein. Sie sind uns gänzlich ausgeliefert und bringen uns trotzdem oder gerade deshalb unendlich viel Vertrauen entgegen. Diese Krise könnten wir zum Anlass nehmen, dieses Vertrauen mehr zu würdigen, wertschätzend und umsichtig mit ihm zu sein und uns von unseren Kindern inspirieren zu lassen, mehr Vertrauen ins Leben zu haben und uns zu erlauben, mehr im Hier und Jetzt anzukommen.
Außerdem hat die Krise gezeigt, wie wichtig Solidarität ist. Dass jeder Mensch von jetzt auf gleich in die Situation kommen kann, auf Hilfe angewiesen zu sein. Wir sollten diese Krise zum Anlass nehmen, mehr darüber zu sprechen, was wir als Familien brauchen und uns gegenseitig mehr zuzuhören. Ich denke hier vor allem an Familien mit alleinerziehenden Elternteilen. Denn diese werden nach wie vor gesellschaftlich, wie politisch, massiv benachteiligt.
ILLUTEs neue EP „Unter den Gedanken wohnt ein Tier“ erscheint am 09. Oktober 2020 bei allen digitalen Streaming- und Downloadanbietern. Alle Infos zu ILLUTE findet ihr auf ihrer Website.
Fotos: ©Meydenberg
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