Leben als Alleinerziehende
Interview mit Silke von "Gut alleinerziehend"
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Familien gibt es inzwischen in allen möglichen Konstellationen. In jeder fünften Familie lebt ein Elternteil allein mit Kindern im Haushalt. Während dieses Familienmodell längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, hängt die Gesetzgebung und Politik dramatisch hinterher. Silke berichtet auf ihrem Blog Gut alleinerziehend von den Missständen, kleinen und großen Alltagshelfern und ihren persönlichen Erfahrungen als glückliche Alleinerziehende. Uns hat sie erzählt, was sie bewegt, sie räumt mit Vorurteilen auf und verrät, was politisch getan werden kann, um Familien mit einem Elternteil zu entlasten.
Hallo Silke, stell dich doch mal vor. Wer bist du, was bewegt dich?
Hallo, ich bin Silke, Bloggerin, Autorin, Diplom-Designerin und seit Ende 2014 alleinerziehende Mutter. Mein Mann trennte sich genau 14 Tage nach der Geburt unseres zweiten Kindes von mir. Für mich ist das die bisher erschütterndste Erfahrung überhaupt gewesen. Trotz der widrigen Umstände habe ich mir ein gutes Leben als Alleinerziehende aufgebaut.
Mich bewegt, dass es es so viele negative Stimmungsbilder über Alleinerziehende und so wenig positive Vorbilder gibt. Alleinerziehend sein ist eine Lebensumstellung, aber keine Sackgasse und schon gar nicht das Ende der Welt! Das Leben nach der Trennung braucht Unterstützung, aber es ist alles machbar.
Auf meinem Blog schreibe ich deshalb nicht nur über emotionale Themen, sondern informiere auch über rechtliche und politische Neuerungen oder Besonderheiten im Leben von alleinerziehenden Elternteilen.
Mittlerweile profitieren tausende Alleinerziehende von deinen tollen Tipps. Wie kam es dazu, dass du dir das Thema "Gut alleinerziehend" auf die Fahne geschrieben hast?
Diese Geschichte ist schnell erzählt: Nachdem ich selbst Alleinerziehende wurde und in der Medienlandschaft und meinem Umfeld keine große Hilfestellung fand, habe ich mich auf mich selbst besonnen und mir Schritt für Schritt ein neues Leben aufgebaut. Anfangs hatte ich Angst und habe mich gefragt, ob ich nun auch arm und einsam werden würde, denn das sind zwei sehr verbreitete Vorurteile über Alleinerziehende. Aber mit zwei kleinen Kindern – zu dem Zeitpunkt waren sie mit 0 und 3 Jahren noch sehr klein – blieb mir gar nicht so viel Zeit, über die Zukunft nachzudenken und Vorurteilen unbewusst nachzueifern.
Im ersten Jahr als Alleinerziehende habe ich unser Eigenheim verkauft, einen Umzug gestemmt und wieder angefangen zu arbeiten. Ich habe versucht neue Dinge einfach anzupacken, statt sie vor Angst immer wieder vor mir herzuschieben.
Mit der Zeit hatte ich sehr viel Übung im Umgang mit Problemen und ihrer Beseitigung und war stolz auf meine Leistungen. Aber so richtig mit anderen darüber reden konnte ich nicht. Denn wenn ich mich im Gespräch als Alleinerziehende zu erkennen gab, bekam ich oft das ganze Schubladendenken zu diesem Thema präsentiert und sehr viel Mitleid obendrein. Andere alleinstehende Elternteile mit Kind kannte ich kaum und so habe ich 2018 den Blog ins Leben gerufen. Ich wollte damit ein gutes Zeichen für Alleinerziehende setzen und anderen die Angst vor dieser Familienform nehmen.
Hast du konkrete Situationen, in denen Alleinerziehende nicht genug unterstützt oder sogar schlechter gestellt werden?
Ich finde es immer schwierig, alle Alleinerziehenden über einen Kamm zu scheren, denn wir sind so unterschiedlich und in allen Gesellschaftsschichten zu finden. Was für den einen ein Problem ist, ist für den anderen keins. Dennoch gibt es eine Sache, die alle Alleinerziehenden betrifft: Das Steuersystem in Deutschland.
Für Alleinerziehende gibt es eine eigene Steuerklasse. Hier gibt es einen steuerlichen Entlastungsbetrag von insgesamt 1.908 Euro pro Jahr für ein Kind und für jedes weitere Kind erhöht er sich um 240 Euro. Das ist finanziell betrachtet ein Tropfen auf dem heißen Stein und nichts im Gegensatz zu den Steuervorteilen des Ehegattensplittings, die mit 20 Milliarden Euro ungefähr 30 Mal so hoch sind wie die rund 600 Millionen Euro, mit denen Alleinerziehende steuerlich entlastet werden.
[Beim Ehegattensplitting werden die Einkommen beider Ehepartner zusammengezogen, halbiert und anschließend besteuert. Dadurch wird das Gehalt des Höherverdienenden steuerlich geringer belastet. Der Ehepartner mit dem geringeren Einkommen wird dafür höher besteuert. Unterm Strich lohnt sich das Ehegattensplitting somit für Ehepartner mit einem hohen Einkommensgefälle oder wenn einer der beiden gar nicht arbeitet.]
Alleinerziehende werden in Deutschland proportional am höchsten besteuert. Und das, obwohl wir Kinder großziehen. Wer es trotz der Doppelbelastung schafft, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, kann sein Gehalt nicht mit einem Partner gegenrechnen. Sie haben auch kein zweites Einkommen in der Haushaltskasse, das sie auffängt.
Noch etwas ist absurd an dieser Familienpolitik: Während Frauen in der Ehe oft einen finanziellen Dornröschen-Schlaf schlafen, der politisch durch die Steuergeschenke auch so gewollt ist, kommt bei einer Trennung dann das böse Erwachen. Denn nach eine Gesetzesänderung des Unterhaltsrechts von 2008 gibt es keine lebenslangen Unterhaltszahlungen für Ex-Ehepartner mehr. Das Gesetz möchte bewirken, dass jeder Mensch nach einer Scheidung möglichst schnell wieder wirtschaftlich für sich alleine sorgt. Das wird dann steuerlich aber nicht mehr subventioniert, selbst wenn man Kinder hat. Das ist meiner Meinung nach ein Riesenfehler im System.
Es ist an der Zeit, die Arbeit von Alleinerziehenden höher zu bewerten und zu fördern, denn wir leisten den Großteil der Care-Arbeit in unserer Familie und sind oft erwerbstätig. Aber nur die Erwerbsarbeit wird bezahlt und durch die hohe Besteuerung kommt nicht so viel Geld in der Haushaltskasse. Hier sind wir definitiv schlechter gestellt.
Was wären mögliche Lösungsansätze?
Die Politik fördert keine Familien, in denen Kinder groß werden, ganz egal welche rechtliche Form diese hat, sondern nur Ehen – und das im Jahr 2020.
Daher sehe ich eine Lösung in der Umwandlung des Ehegattensplittings in ein Familiensplitting. Das ist dann nicht mehr an die Ehe gekoppelt, sondern an das Vorhandensein von Kindern – ganz egal ob sie in einem Alleinerziehenden-Haushalt aufwachsen, im Wechselmodell oder in einem Haushalt mit beiden Eltern – verheiratet oder nicht.
Das würde Frauen nach einer Trennung vor dem tiefen finanziellen Fall retten, ihre Erwerbstätigkeit aufwerten und mehr Anreize für Kinder in Deutschland schaffen. Wenn man sich das Rentensystem ansieht, dann kann man weitere Einzahler in den nächsten Jahren nur begrüßen.
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Welchen Ratschlag möchtest du einem Elternteil mitgeben, das sich nun nach einer Trennung sortieren muss und möglicherweise Angst vor der Zukunft hat?
Eine Trennung ist immer eine besondere Situation und mit Kindern kann das ein sehr heftiger und angsterfüllter Lebensabschnitt sein.
In fast allen Fällen spielt in der ersten Zeit die Trauer eine große Rolle. Und das ist etwas, das in unserer Gesellschaft kaum mehr wahrgenommen wird. So wie sich Mütter kurz nach der Geburt wieder mit Top-Körpern präsentieren, haben Alleinerziehende die irrige Annahme im Kopf, sie müssten die Trauerphase schnell überspringen und lächelnd weitermachen.
Mir ging es ähnlich. Ich wollte nicht auf dem Trümmerfeld meiner Ehe sitzen bleiben und hätte am liebsten drei Schritte auf einmal gemacht und so getan, als wäre nichts gewesen. Aber das funktionierte nicht. Nur in Ruhephasen konnte ich mich mit der Zukunft und den nächsten Schritten befassen und daher Gedanken auch einfach mal reifen lassen. Ich habe es mir irgendwann zur Routine gemacht, pro Tag nur eine wichtige Aufgabe für unsere Zukunft zu erledigen und mich den Rest des Tages aus dem To-Do-Zwang zu befreien. So habe ich mir erlaubt abzuschalten und wieder im Hier und Jetzt zu sein.
Ein zweites sehr wichtiges Thema ist das Finanzielle. Wenn kein Geld mehr auf dem Konto ist, dann greift das die existentielle Sicherheit an. Eine Frage, die man sich stellen sollte, ist zum Beispiel: Kann ich eventuell selbst Unterhalt bekommen und auf wie viel Unterhalt hat mein Kind ein Anrecht? Eine Übersicht, welches Geld Alleinerziehenden zusteht, habe ich auf meinem Blog zusammengestellt.
Welche Frage würdest du gerne einmal gestellt bekommen und was wäre deine Antwort?
Die Frage, die mir nie gestellt wird, ist: Gibt es denn viele Alleinerziehende, die so positiv über ihre Lebenssituation denken wie du?
Meine Antwort wäre: Oh ja!
Bei der Gründung von Gut alleinerziehend hatte ich schon im Gefühl, dass es noch mehr Alleinerziehende geben muss wie mich. Menschen, die ihr Leben und ihr Familienleben auf die Reihe bekommen, beruflich gut aufgestellt und finanziell abgesichert sind. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass alle knapp 2 Millionen Alleinerziehende dem gängigen Klischee entsprechen.
So bin ich mit dem Thema Gut alleinerziehend sichtbar geworden und habe eine Plattform für Gleichgesinnte geschaffen. In den Facebookgruppen zu Gut alleinerziehend findet ein täglicher, wohlgesonnener und hilfreicher Austausch unter knapp 2000 Alleinerziehenden statt. Mein Blog zieht monatlich circa 20.000 Besucher an. Daher weiß ich mittlerweile ganz genau, dass ich mit meiner Meinung nicht alleine bin.
Alle Bilder © Silke Wildner
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